Auf Einladung des iab austria diskutierten zum Thema „Nachhaltige digitale Werbung: Welche Maßnahmen bietet der österreichische Markt“ Ruth Moss (CRIF Austria und ESG Transparency Initiative), Martin Mayr (INTEGRAL), Rainer Reichl (Reichl & Partner), Alessandro Piccinini (Nespresso Österreich), Lena Hermes (iq digital), Jochen Schneeberger (Willhaben), Michael Schmidt (Virtual Identity) und Schima Labitsch (Refurbed) mit Nana Siebert (Der Standard).
„Wir sprechen nicht mehr von der Klimakrise, sondern vom Klimanotstand“, leitet Ruth Moss (CRIF Austria und ESG Transparency Initiative) in das zweite „iab NETwork“-Event am Mittwochvormittag im „weXelerate“ ein, das sich auf Initiative von Helene Roba (austria.com/plus) und Pauline Schreuder (Nespresso) der Nachhaltigkeit im Digitalmarketing widmet. Die weitreichende Bedeutung der Nachhaltigkeit zeigt sie am Beispiel von Tesla auf, das aufgrund von Rassismus-Vorwürfen und schlechter Arbeitsbedingungen nach Börsenstandards nicht mehr als nachhaltiges Unternehmen gewertet wird. Die Transformation zur Nachhaltigkeit sei nicht in einem Schnellschuss-Projekt realisierbar, sondern sei ein Menschheitsprojekt, das über Generationen verfolgt werden müsse, appelliert Moss. „Wir haben seit 20 Jahren das Wegschauen kultiviert. Ausreden dürfen wir nicht mehr gelten lassen“, so Moss. Der Druck aus dem Kapitalmarkt beflügelt den Wandel zum ressourcenschonenden Agieren und ist mindestens so bedeutend wie gesetzliche Rahmenbedingungen. Ebenso wird verantwortungsvolles Handeln zum entscheidenden Asset im Employer Branding. Die gelernte Psychologin verortet eine natürliche Abwehrhandlung der Menschen gegen den zunehmenden Druck. Sie fordert einen Wandel vom Müssen zum Wollen; Problemdenken muss Lösungshandlungen weichen. Transparenz ist ein Schlüssel, um die innere Motivation durch einen kompetitiven Wettbewerb zu fördern.
INTEGRAL-Studie: Junge Hedonisten brauchen persönliche Vorteile, um nachhaltig zu handeln
Wie es tatsächlich um das Nachhaltigkeitsdenken im Zusammenhang mit der Digitalisierung in der österreichischen Bevölkerung steht, untersuchte INTEGRAL im Auftrag der größten Interessenvertretung der Digitalwirtschaft (Sample: n=1.000). Vier von zehn Österreichern sehen in der Digitalisierung positive Potenziale für die Umwelt. Ein ähnlich hoher Anteil hat sich zu dem Thema noch keine Meinung gebildet, während 16 Prozent sogar negative Auswirkungen befürchten. Rund ein Drittel der Befragten kauft sich alle zwei Jahre ein neues Smartphone. Auf generalüberholte Devices würde nur ein Drittel der Befragten zurückgreifen, wobei die Bereitschaft mit steigender Technikaffinität sinkt. Kryptowährungen stehen die Menschen weniger aufgrund ihres hohen Ressourcenverbrauchs skeptisch gegenüber, sie sind vielmehr durch die Komplexität der Thematik überfordert. Bei der Frage, ob auch ein gebrauchtes Smartphone seinen Zweck erfüllen würde, zeigen sich vor allem junge digitale Individualisten zögerlich. Einerseits fordert die progressive junge Generation Nachhaltigkeit ein, lebt sie selbst jedoch nur, wenn sie einen persönlichen Vorteil in ihrem Handeln erkennt. Smart-Home-Lösungen, die eine komfortable Bedienung ermöglichen und gleichzeitig Ressourcen schonen, stoßen auf hohe Akzeptanz. Ebenso wird Online-Shopping als Alternative wahrgenommen, um unnötige Fahrten in Einkaufszentren zu vermeiden und den persönlichen CO2-Fußabdruck zu minimieren.
Eminente Klimakrise
Von einer Eminenz der Klimakrise mit weitreichenden Folgen für alle Bereiche der Ökonomie spricht Nana Siebert (Der Standard) und nimmt auch die Medien in die Pflicht. Der CO2-Ausstoß durch die Internetnutzung entspricht jenem des Flugverkehrs, wobei die Diskussion mehrdimensional ist. Die Plattform Willhaben ermöglicht die Einsparung von 380.000 Tonnen CO2 pro Jahr, weil Produkte länger im Wirtschaftskreislauf bleiben. Eine ähnliche Vision teilt Refurbed mit dem Vertrieb von generalüberholten Elektroprodukten. Rund 70 Prozent der Emissionen lassen sich durch die Kreislaufwirtschaft einsparen. „Second Hand muss das neue Sexy werden“, postuliert Schima Labitsch (Refurbed). Nespresso musste sich steter Kritik von Klimaschützern stellen, verfolgt seit 2003 jedoch ein Nachhaltigkeitsprogramm, das bereits bei Anbau und Herstellung ansetzt. Der Kaffeesud wird im Recyclingprogramm zu Bio-Gas verwandelt, während das Aluminium zu 100 Prozent wiederverwendet werden können. Seit einem Monat ist die Firma als B CorpTM (Benefit Corporation) zertifiziert und durchläuft einen massiven Transformationsprozess, der durch Digitalisierung begünstigt wird. „Wie viel nehmen wir von der Gesellschaft und wie viel geben wir ihr zurück“, ist die neue Frage, mit der sich Nespresso-Geschäftsführer Alessandro Piccinini verstärkt auseinandersetzt.
„Wir werden nicht satter, wenn wir mehr Fischernetze auslegen, sondern ruinieren den Planeten“, ist der Schluss, den Rainer Reichl (Reichl und Partner) aus vielen Gesprächen in einer Arbeitsgruppe mit Richard von Weitzsäcker (Club of Rome) zog. Der Beitrag der Werbung zum Bewusstseinswandel liegt in ihrer kommunikativen Stärke. „Wir dürfen nicht müde werden, die Menschen auf Probleme hinzuweisen und ihnen Handlungsalternativen zu zeigen“, stimmt Jochen Schneeberger (Willhaben) überein.
Auch Werbung selbst kann klimaschonend sein. Gemeinsam mit BMW beschritt Michael Schmidt (Virtual Identity) den Weg in die nachhaltige Kommunikation. Die Nachfrage auf Kundenseite sei noch überschaubar, jedoch können Agenturen einen wichtigen Anstoß geben. Lena Hermes hat mit iq digital bereits das CO2-neutrale Werbemittel „ecoAD“ entwickelt, das weniger Datenverkehr verursachen. Sie gesteht zu, dass es Einschränkungen im Tracking gibt, die Auftraggeber bei CO2-intensiven Printanzeigen jedoch unhinterfragt in Kauf nehmen. Hermes ist überzeugt, dass es ein Umdenken im Digitalmarketing brauchen wird, um verantwortungsvolle Kommunikation zu betreiben. Willhaben setzt auf das „Green Advertising“ und speist seine Server aus Öko-Strom und ermöglicht Werbetreibenden die Zertifizierung ihrer Produkte in Zusammenarbeit mit den Experten von beeanco. Auftraggeber mit einem hohen Nachhaltigkeits-Score werden mit Rabatten und spezieller Kennzeichnung motiviert.
„Wir können das Produkt nachhaltig herstellen und unser Geschäft ressourcenschonend führen. Für nachhaltige Kommunikation brauchen wir die Expertise spezialisierter Partner“, berichtet Piccinini aus der Praxis. Er fordert neue Standards und hinterfragt bestehende Zertifizierungen. Es braucht vernetzte Standards, die über Branchen hinausgehen und eine gesamtheitliche Entwicklung vorantreiben.
Bilder zur Veranstaltung
Fotos: Gabriel Alarcón
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Die Studie von INTEGRAL steht euch hier zum Download bereit. Wir bedanken uns an dieser Stelle nochmal herzlich für die großartige Zusammenarbeit.